Bernie Madoff – Schurke? Sündenbock? Beides!

Bernie Madoff war der Schurke, der anderen Schurken erlaubte ihre Schurkentaten in einem alles verschlingenden Weichzeichner zu tauchen.

Die Finanzkrise 2007/2008 war die erste große Krise die ich außerhalb eines geschützten Bereichs wie Familie und Universität erlebt habe. Das machte sie gewissermaßen real. In dem kleinen Regionalsender, in dem ich damals arbeitete, ging die Angst vor einbrechenden Werbeeinnahmen um, obwohl große Investitionen anstanden. Wobei ich persönlich sagen muss, als sich Kanzlerin und Finanzminister genötigt sahen die Sparguthaben der Deutschen hoch offiziell als sicher zu deklarieren, hat mich das relativ kalt gelassen. Auf meinem Konto gab es damals nicht viel zu sichern.

Ein Gesicht jener Krise war damals schon Bernie Madoff. Die Finanzkrise hatte sein über Jahrzehnte in Milliardenhöhen gewachsenes Schneeballsystem auffliegen lassen, weil plötzlich zu viele Betrogene zur gleichen Zeit zu viel Geld ausgezahlt bekommen wollten.

Ein Betrüger wurde zum Gesicht der Finanzkrise

Dieser offensichtliche Betrug zu Lasten unzähliger Opfer in den USA und Europa wurde zum Sinnbild einer unregulierten Finanzwirtschaft. Und Bernie Madoff wurde als Sündenbock auf dem Altar geopfert, um die aufgebrachten Massen zu beruhigen. Wobei die Sündenbockanalogie nicht ganz korrekt ist, hatte sich Madoff doch tatsächlich schuldig gemacht. Aber er – und ein paar Mitarbeiter – waren letztlich die einzigen, die in Form von Gefängnisstrafen und menschlichen Tragödien dafür geradestehen mussten.

Die Szenerie hinter Bernie Madoff ist so weichgezeichnet, dass sich kaum jemand noch bewusst ist, dass Madoff die Krise nicht verursacht hat, sondern ihr nur auf eine andere Weise zum Opfer gefallen ist. Ausgelöst wurde sie von wider besseren Wissens vergebenen Immobilienkrediten, die wiederrum in Geldanlageprodukte gepackt wurden, die keinen praktischen Nutzen hatten, außer gehandelt zu werden. Und die irgendwann platzten. Was jedem hätte klar sein müssen, hätte er nicht vor lauter Geld verdienen über die normative Kraft des Faktischen hinweggesehen.

Kennt die Finanzwelt die normative Kraft des Faktischen?

Und das bringt uns wieder zum Schneeballsystem von Bernie Madoff, das in seiner Form so simpel war, dass es nicht nur aufgrund der Milliardensumme einen Platz im Lehrbuch verdient hat. Madoff nahm Geld von A, versprach ihm eine Rendite, die er mit dem Geld von B bezahlte, dessen Rendite wiederum mit dem Geld von C bezahlt wurde usw. usf. Ein todsicheres System – solange es Menschen gibt, die genug einzahlen, um die Renditen auszahlen zu können.

Immer nur Gewinne mit Anlagegeschäften in den Büchern zu haben, machte Madoff zum heimlichen Star. Zum allwissenden Wall Street-Mann. Das er die Bücher nachträglich führte, also einen Kurswert von gestern wählte, der heute gestiegen war – dass konnte sich keiner vorstellen. Außer ein paar wenigen, glaubte jeder, was nicht stimmen konnte, nur zu gerne. Wobei natürlich der ein oder andere sehr wohl ahnte, dass es sich um einen Betrug handelte, sich seine Provision nicht entgehen lassen wollte. Während andere, wie etwa der Finanzmathematiker Harry Markopolos, sich dumm und dusslig schrieben und redeten, um die US-Finanzaufsicht SEC auf den offensichtlichen Betrug aufmerksam zu machen.

Doch Madoff entzog sich den halbherzigen Untersuchungen, in dem er einen Trick anwandte, den ich passenderweise in einer Vorlesung mit dem Namen „Finanzierung und Businessplanung“ gelernt habe. Mitten in der Präsentation unseres Businessplans machte ein Student mein Team darauf aufmerksam, dass wir einen wesentlichen Punkt – ich glaube es ging um die klimatisch durchaus komplizierte Lagerhaltung von Zigarren – vergessen hatten. Wir haben damals einfach das Gegenteil behauptet und die Sache war erledigt. Im Wesentlichen war es diese Taktik, mit der sich Madoff über Jahrzehnte hinweg den Ermittlungsbehörden entzog.

In der vierteiligen Netflix-Doku „Madoff – Das Monster der Wallstreet“ kommt zum Ende einer der ermittelnden FBI-Agenten zu Wort. Es gebe einen Unterschied zwischen Wirtschaftsverbrechen und anderen Verbrechen. Bei einem normalen Verbrechen gibt es die Leichen vor dem Start der Ermittlungen, bei einem Wirtschaftsverbrechen manchmal erst danach. Madoff starb 2021 in Haft, einer seiner beiden Söhne hatte damals bereits Selbstmord begangen. Und war nicht der Einzige.

Vernunft gibt es nur in Märchen

Was von den Geschehnissen am Ende aber übrigbleibt, und das ist eine Stärke der Netflix-Doku, ist eine beim Zuschauer erzeugte Fassungslosigkeit, wie Anleger und Behörden selbst die offensichtlichsten Betrugsanzeichen wegwischten. War es einfach Gier? Oder war es bei dem ein oder anderen das kalkulierte Risiko durch geschicktes Investieren und Einstreichen der Gewinne am Ende eben aus dem System mit Gewinn herauszukommen. Schließlich garantieren nicht wenige Schneeballsysteme ihren ersten Teilnehmer durchaus beachtliche Gewinne, solange sie rechtzeitig aussteigen. Die Grenzen zwischen Opfer und Mittäter sind hier zuweilen sehr schwammig. Zumindest in der Finanzbranche gab es auch einige, die wissen mussten, dass Madoff’s Erklärung für seinen Erfolg völliger Humbug war. In einigen Fällen scheint das sogar belegt. Aber auch wenn es in dieser Geschichte aus Macht und Gier das kleine Kind gab, dass es wagte laut auszusprechen, dass der Kaiser nackt sei, wollte niemand hören. Fast scheint es so, als würde es so etwas wie Vernunft nur in Märchen geben, aber nicht in der realen Welt.

Bernie Madoff – Das Monster der Wallstreet (USA 2023) – zu sehen bei Netflix


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