matterne.eu

¯\_(ツ)_/¯

Warum liberale Freiheit scheitert: Patrick J. Deneens Analyse

Patrick J. Deneens „Why Liberalism Failed“ ist ein Buch, das in der heutigen intellektuellen Landschaft dringend benötigt wurde. Es ist keine einfache Anklage, sondern eine nuancierte und zutiefst durchdachte Analyse der inneren Dynamiken des Liberalismus, die, so Deneen, zu seinen aktuellen Schwächen und Brüchen geführt haben. Für Leser, die bereit sind, über die Oberfläche der politischen Debatte hinauszublicken, bietet dieses Werk eine erfrischende und erhellende Perspektive.

„Liberalism has failed – not because it fell short, but because it was true to itself. It has failed because it has succeeded.“, Patrick J. Deneen

Natürlich ist es aber eben auch das Buch, zu dem Interessierten geraten wird, um die aktuelle US-Politik besser zu verstehen. Deneens Kritik an Liberalismus – die stets auch die Globalisierung und den Kapitalismus miteinschließt – gilt als das geistige Fundament des Kreises um US-Vizepräsident J.D. Vance. Und auch Trumps Zollideen lassen sich, wenn Deneen das Thema Zölle auch nicht explizit behandelt, durchaus hier mit Begründungen unterfüttern.

J.D. Vance (KI generiert)

Deneens Stärke liegt in seiner Fähigkeit, die scheinbaren Erfolge des Liberalismus als die Ursache seiner Probleme zu entlarven. Er argumentiert überzeugend, dass die liberale Betonung von individueller Autonomie und der Befreiung von allen äußeren Zwängen – sei es durch Tradition, Gemeinschaft oder Natur – paradoxerweise zu einer neuen Form der Abhängigkeit und einer Entfremdung von den Grundlagen menschlichen Gedeihens geführt hat. Die Freiheit, die der Liberalismus verspricht, so Deneen, hat sich in vielen Fällen als eine Freiheit von etwas erwiesen, nicht als eine Freiheit zu etwas, was letztlich zu einer Aushöhlung von Sinn und Gemeinschaft führt.

Gleichzeitig beschreibt der Politikwissenschaftler, wie der liberale Staat plötzlich in manchen Bereichen vollkommen autoritär reagieren kann – bis hin zu der festen Überzeugung mancher progressiver Denker die liberale Demokratie nur durch ein neues Wahlrecht retten zu können, das die Stimmen höher Gebildeter auch höher gewichtet. Neben der unglaublichen Menschenverachtung dieses Gedankengangs, fällt mir da aber Gott sei dank auch ein, dass das preußische Drei-Klassen-Wahlrecht den Kaiser auch nicht vor der Sozialdemokratie gerettet hat. 😉

Vor allem ist es angenehm erfrischend einen Denker vor sich zu haben, der sich nicht einreiht in den Uneinfallsreichtum von auf Linie getrimmten Politikwissenschaftlern und Philosophen. Damit liefert er auch einige Aha-Erlebnisse für die deutsche Politik, die freilich nicht wirklich im Fokus eines an der Notre Dame University lehrenden Professors steht. Wer allerdings erst einmal begriffen hat, das in der westlichen liberalen Demokratie Konservative und Linke letztlich beides Liberale sein müssen. Nur das die einen ein mehr an Werten wie der Familie hängen und weniger die beherrschende Stellung des Marktes kaschieren. Wer das erstmal begriffen hat, wundert sich nicht, wenn einem CDU und Grüne wie zwei Parteien vorkommen, die auf dem gleichen Fundament nur unterschiedliche Schwerpunkte haben.

Besonders beeindruckend ist Deneens intellektuelle Redlichkeit. Er vermeidet es, den Liberalismus als bloßen Fehler darzustellen, sondern zeichnet seine Entwicklung als eine logische Konsequenz seiner eigenen Prämissen nach. Dabei bezieht er sich auf eine breite Palette von Denkern, von den Gründervätern des Liberalismus bis zu seinen modernen Interpreten, und zeigt auf, wie die ursprünglichen Ambitionen des Liberalismus – die Schaffung einer Gesellschaft freier und gleicher Individuen – unbeabsichtigt zu den heutigen Herausforderungen geführt haben. Das er den Liberalismus dennoch für gescheitert erklärt, daran ändert seine betont sachliche Argumentation natürlich nichts.

„Democracy, in fact, cannot ultimately function in a liberal regime. Democracy requires extensive social forms that liberals aims to deconstruct, particularly shared social practices and commitments that arise form thick communities, not a random collection of unconnected selves entering and exting an election box.“, Patrick J. Deneen

Insofern ist “Why Liberalism Failed” natürlich ein für das westliche System subversives und gefährliches Buch. Es erinnert daran, das es dem Liberalismus bis heute gelingt nicht als Ideologie bezeichnet zu werden. Anders als bei seinen beiden – scheinbar niedergerungenen – Konkurrenten Sozialismus und Faschismus würde sich ein Liberaler auch nie als Anhänger einer Ideologie bezeichnen. Im Gegenteil, er wäre wohl fest davon überzeug ideologiefrei zu sein – der Nazi war mit sich da ehrlicher. Gleichzeitig ist das Buch eine Erinnerung, dass die Gleichsetzung zwischen dem Begriff “Demokratie” und “liberale Demokratie” am Ende des Tages auch nur ein ähnlich gelungener Propagandacoup der liberalen Eliten ist, die in Demokratien anderer Lesart fürchten müssten, durch andere Eliten ersetzt zu werden.


Why Liberalism failed von Patrick J. Deneen – Yale University Press 2019

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert