Wirkmächtige Propaganda und zeitweise reale Verirrungen haben dafür gesorgt, dass das preußische Militär keinen besonders guten Ruf hat. Führen wie die Preußen, da denken allzu viele an „Befehl und (Kadaver-)Gehorsam“ – nichts, was mit moderner Führung zu tun haben sollte.
Dabei war es das preußische Militär, das ein wesentliches Element der „inneren Führung“ der Bundeswehr vorwegnahm. „Herr, dazu hat Sie der König zum Stabsoffizier gemacht, dass Sie wissen müssen, wann Sie nicht zu gehorchen haben.“, meinte einst General Karl von Preußen (1828 bis 1885) und bringt damit ein der wichtigsten Soldatenpflichten auf den Punkt.
Preußen moderne Art zu führen
„Führen durch Auftrag“ ist ein zweites wesentliches Element preußischer Militärführung, das bis heute gültig, gelehrt und angewendet wird. Als „Auftragstaktik“ verhalf sie den Deutschen 1871/72 zum Sieg. Verkürzt beschreibt mancher sie gern als einen großen Befehl, statt vieler kleiner detaillierter Befehle. Also beispielsweise: „Nehmen sie den Hügel ein“, statt „gehen sie rechts durch den Graben, schneiden sie den Stahldraht auf usw. usf.“ Das trifft es aber nur bedingt, vor allem bedeutet die Auftragstaktik, das für eine bestimmte Aufgabe einem ausgebildeten Offizier oder Unteroffizier die Verantwortung übertragen wird eine Aufgabe eigenständig zu erfüllen. Und an dieser Stelle tun sich spätestens die Parallelen zum Zivilleben auf – oder besser gesagt modernem Management auf preußische Art.
Die Sache mit der Verantwortung ist eigentliche eine Machtfrage
Verantwortung ist manchmal eine merkwürdige Sache. Einige scheuen sie, andere können sie nicht abgeben. Im zweiten Fall ist Verantwortung meist verbunden mit Macht, sozusagen als Gegenleistung. Und sind Verantwortung und Macht erst einmal miteinander verknüpft, neigen viele Menschen dazu sie krampfhaft behalten zu wollen. Warum also gaben preußische Offiziere Verantwortung/Macht an untergebene Stellen ab? Ganz einfach, weil sie gemerkt haben nur so zu siegen. Spätestens seit Napoleon den Kabinettkriegen mit ihren starren Formationen und Schlachtordnungen ein Ende gesetzt hatte, wurden Kriege – wie alles im Leben – zunehmend komplizierter. Und da waren jene Generäle im Vorteil, die schnell begriffen hatten, dass sie auf ihrem Schlachtplan nur das große Ganze dirigieren konnten, nicht aber alles bis ins kleinste Detail planbar war.
Dabei wirken die Ereignisse von einst vielen heute lebenden Menschen fast schon traumhaft unkompliziert. Computertechnik, Echtzeitkommunikation und jetzt auch noch Künstliche Intelligenz sollten uns die Arbeit eigentlich erleichtern, aber alles hat eben seinen Preis. Auch die Arbeitswelt ist komplizierter geworden. Große Konzerne unserer Kindheit sind verschwunden und wie viele KMUs dem neuen Gott der Disruption geopfert wurden, weiß keiner so genau. Unternehmen agieren außen in einem komplizierten Netz aus Kontakten (oft ohne Freund und Feind unterscheiden zu können) und tun es innerlich genauso. Wer als Geschäftsführer oder Manager wissen will, wie sicher er sich seiner Mitarbeiter sein kann, braucht nur „Statistik Wechselwille Mitarbeiter“ zu googlen und kann sich dann ausgiebig gruseln.
Der Mensch will geführt werden
Ich bin davon überzeugt, dass der Mensch trotz aller Individualität und Selbstbestimmung, im Kern doch ein Wesen geblieben ist, das geführt werden möchte. Seit es den Menschen gibt, gruppiert er sich und Gruppen werden immer geführt (formell oder informell). Das gilt auch in der Arbeitswelt, weshalb ein kündigender Mitarbeiter auch immer ein Führungsversagen offenlegt.
Und wie kann uns Preußen jetzt dabei helfen? Nun, in dem wir folgende fünf typische preußische Führungsmethoden verinnerlichen, von denen ich etwas ja bereits in der Auftragstaktik angesprochen habe.
- Grundsatz der Eigenverantwortung: Von Führungskräften bis hin zu Mitarbeitern auf allen Ebenen wird erwartet, dass sie innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs eigenständige Entscheidungen treffen und proaktiv im Interesse des übergeordneten Ziels agieren. In einem komplexen Umfeld fördert dies die Entstehung von „kollektiver Intelligenz“, da Individuen vor Ort oft über ein tieferes Verständnis und bessere Entscheidungsbasis verfügen, als es eine zentrale Instanz je könnte.
- Vermittlung von Zielen und Bedeutung: Es ist entscheidend, dass jeder im Team nicht nur die sachlichen Unternehmensziele kennt, sondern auch den ideellen Wert ihrer Arbeit im Gesamtbild versteht. Diese Klarheit ist die Basis, um die durch Eigeninitiative entstandene kollektive Intelligenz effektiv zu nutzen. Gibt es kein gemeinsames Ziel, werden die einzelnen Entscheider selbst ihre Ziele definieren. Diese müssen jedoch nicht automatisch mit den Unternehmenszielen übereinstimmen.
- Führung durch Zurückhaltung: In dieser Hierarchieform ist es die Hauptaufgabe der Führungskräfte, sich selbst einzuschränken. Sie müssen den Drang widerstehen, in die Autonomie der Mitarbeiter einzugreifen, und sich stattdessen darauf konzentrieren, übergeordnete Ziele zu kommunizieren und zu vermitteln.
- Förderung der Voraussetzungen für Erfolg: Eine weitreichende Entscheidungs- und Handlungsfreiheit erfordert ein hohes Maß an fachlichem und ethischem Urteilsvermögen. Führungskräfte sind dafür verantwortlich, diese Kompetenzen zu stärken. Dadurch wird auch verhindert, dass der Ansatz in Punkt 3 in die laissez-faire-Richtung abgleitet.
- Übernahme von Verantwortung und Bereitstellung von Ressourcen: Eine funktionierende hybride Organisation erfordert, dass Führungskräfte die Verantwortung für das autonome Handeln ihrer untergeordneten Teams übernehmen. Sie müssen bereit sein, im Falle eines Misserfolgs, der nicht direkt aus ihren Entscheidungen resultiert, Verantwortung zu tragen. Dies setzt einen kontinuierlichen, auch nach Rückschlägen erneuerten Vertrauensvorschuss voraus. Zudem ist es ihre Aufgabe, ihre Teams mit den notwendigen Ressourcen auszustatten, damit diese ihre Aufgaben effektiv erfüllen können.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort zu „hybride Organisation“. Man könnte auch hybrides Unternehmen sagen, denn unabhängig seiner Größe sollte jedes erfolgreiche Unternehmen heute hybrid sein. Es ist Aufgabe der Führung die unterschiedlichen Ansätze, Arbeitsweisen, Strukturen und Herausforderungen so unter einen Hut zu bringen, dass das gesamte Unternehmen flexibel auf die sich immer schnell ändernden Rahmenbedingungen am Markt reagieren kann.
Insofern das preußische Konzept zwar hierarchisch gegliedert, aber jede Hierarchieebene über die notwendigen Freiheiten verfügt, verbindet es sozusagen das Beste aus zwei Welten. Damit widerspricht es natürlich anderen Führungsideen, wie jener der „flachen Hierarchien“. Wobei inzwischen auch der letzte mitbekommen haben müsste, dass man darunter zu verstehen hat, dass da ein Chef ist, der allen befiehlt, wo es lang geht. Auch das kann funktionieren, fordert die Führungskraft allerdings weit mehr. Denn das Wohl des gesamten Unternehmens hängt davon ab, dass er
- den Überblick über alle relevanten Faktoren hat und
- über Expertenwissen in allen Bereichen verfügt.
Da diese Eier legende Wollmilchsau aber ab einer gewissen Organisationsgröße nicht existiert, sind Fehlentscheidungen und Frustration nur eine Frage der Zeit.