In seinem Buch zeichnet Patrik Ian Meyer das Idealbild des kritischen Denkens. Vergisst aber zuweilen die Vorteile von Vorurteilen.
Kritisches Denken klingt heute fast politisch verdächtig – fast so ähnlich wie Querdenken. Dabei ist Patrik Ian Meyers Buch „Die 4 Säulen des Kritischen Denkens“ dankenswert unpolitisch und betont, dass kritisches Denken uns allen gut zu Gesicht stünde.
Titel und Untertitel („103 Techniken & Hacks…“) sind in dem Buch erstaunlich wenig Programm. Die Zahl 103 findet im Text kaum Erwähnung, und auch die vier Säulen sind eher Teil eines Bauwerks, in dem sich die Dinge wiederholen. Vielleicht wäre das Bild eines Hauses mit vier Wänden passender gewesen, auf denen ein Dach ruht.
Die 4 Säulen des kritischen Denkens nach Meyer
- Grundlagen – Verstehen der Ursachen, Kenntnis des Themas, praktizieren von logischem Denken.
- Prozess – Ein strukturierter Ansatz zur Bewertung und Analyse von Informationen.
- Verbesserungen – Sowohl im Ablauf künftiger Entscheidungen als auch für die persönliche Entwicklung.
- Anwendung – Entscheidungsfindung und deren Anwendung in verschiedenen Bereichen.
Die Säulen dienen als Grundgerüst und bieten eine rote Linie, entlang derer – wie Meyer selbst ankündigt – diverse Themen immer wieder auftauchen.
Eine zentrale Einsicht des Autors ist, dass der größte Feind des kritischen Denkens der Denker selbst ist. Ganz untypisch für unsere Zeit rät Meyer dem Leser, sich stets in andere hineinzuversetzen und nicht sich selbst als Maßstab zu nehmen. So spielt im ersten Teil des Buches auch „Hanlon’s Razor“ immer wieder eine wichtige Rolle:
„Hanlon’s Razor, ein nach dem amerikanischen Physiker Robert J. Hanlon benanntes Prinzip, leitet unsere Interpretation der Handlungen anderer. Diesem philosophischen Rasiermesser zufolge ist es ratsam, dem Verhalten anderer keine böswillige Absicht zu unterstellen, wenn diese Handlungen ebenso gut durch Unachtsamkeit oder Unwissenheit erklärt werden können.“
Zyniker, wie ich, würden es kürzer formulieren: Meistens sind die Menschen nicht böse, nur dumm.
Aber Meyer hat hier natürlich einen Punkt. Unsere Urteile beruhen oft auf nicht hinterfragten Annahmen – nicht selten auf Vorurteilen. Diese müssen nicht unbedingt rassistisch sein, auch positive Zuschreibungen können Vorurteile sein.
Selbstreflexion über eigene Gedanken und Urteile ist also eine der wichtigsten Eigenschaften eines kritischen Denkers. Diesen Punkt ordnet Meyer klar der dritten Säule, der Verbesserung, zu. Er macht deutlich, dass wir mit diesen Übungen nicht nur unser kritisches Denken, sondern auch uns selbst verbessern.
Die vierte Säule widmet sich praktischen Beispielen der Anwendung des kritischen Denkens. Meyer beschreibt, wie dieses Denken in Bereichen wie Finanzen, Gesundheit oder Bildung genutzt werden kann. Dabei wird deutlich, dass er kritisches Denken als Grundvoraussetzung für ein gelungenes Leben sieht. Diese Formulierung mag überhöht klingen, ist aber ganz im Sinne des Autors. Doch hier zeigt sich auch ein kleines Manko des Buches: Das kritische Denken selbst wird nicht kritisch hinterfragt. Meyer zeichnet ein Idealbild eines rationalen Menschen, wie er vielleicht gar nicht wünschenswert ist. Er ignoriert dabei, dass Vorurteile auch evolutionär sinnvoll sein können – als rettender Anker bei schnellen Entscheidungen.
Insgesamt bietet „Die 4 Säulen des Kritischen Denkens“ wertvolle Anregungen zur Verbesserung des eigenen Denkprozesses, bleibt aber stellenweise zu idealistisch. Trotzdem lohnt sich die Lektüre, um eigene Denkweisen zu reflektieren und neue Perspektiven zu gewinnen.
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